Aus dem Inhalt
Zürich 14. September 2002
Ich warte auf den Zug.
Die Schienen liegen so unnatürlich still auf den Schwellen, so erstarrt im Warten in der hohen Bahnhofshalle. Nähert sich jedoch ein Zug, wachen sie plötzlich aus ihrer Lethargie auf, bereiten den vorausfahrenden Schatten eine aufblitzende Spur und ziehen die gewaltige Lokomotive und deren Gefolge bebend in die Bahnhofshalle hinein. Dann verschwinden sie in einer Wolke zischender Geräusche unter dem unsäglichen Gewicht des Zuges, und während die Schatten unruhig zwischen den stehenden Rädern über das er-hitzte Metall streichen, haben sie bis zur nächsten Abfahrt Anteil an der grossen, fremden Welt.
Denn kaum entfernt sich der Zug und mit ihm seine Schatten, erstarren die Schienen wieder reglos hingestreckt zu neuem Warten. |
Über die Autorin
Rita Roedel wurde 1942 in Zuoz im Engadin geboren, wo sie die ersten sechs Jahre ihres Lebens verbrachte. Später zog sie mit ihrer Familie ins Unterland und wurde nach zahlreichen Wohnortwechseln quer durch die Schweiz schliesslich in Zürich sesshaft. Heute lebt und arbeitet sie dort als Objektgestalterin und Schriftstellerin. Mehrere Auszeichnungen bei Wettbewerben und Veröffentlichungen in Anthologien. «Es ist Nacht und Zeit fährt mit» ist ihr erstes Buch..
Über das Buch
Die Rastlosigkeit während ihrer Jungendjahre hat Rita Roedel geprägt und ihre Leidenschaft fürs Unterwegssein geweckt. Während zahlreicher, meist zielloser Zugfahrten schreibt die Autorin, von der äusseren zur inneren Bewegung angeregt, Zuggeschichten. Unmittelbar ausgehend von den stets sich verändernden Bildern und Geräuschen sowie den dadurch ausgelösten Assoziationen und Gedanken, entstanden so Kurz- und Kürzestgeschichten aus dem flüchtigen Bereich zwischen Realität und Fiktion. |
